Soll Lukas auf den Fleischkuss verzichten?

Unser Lukas ist ja bei der Bachelorette dabei, wo er gegen eine ganze Horde anderer toller Hengste antritt und um die Gunst von Eli buhlt. Und da wurde ihm in der ersten Folge von seinem Nebenbuhler Vasco eine durchaus interessante Frage gestellt, Vasco fragte: „Lukas, jetzt stell dir diese Frage vor –  stell ich dir folgende Frage: Ihr seid gerade an einem Dinner. Sie bestellt ihr Fleisch, und du isst vegan. Danach würde sie dich gerne küssen. Was würdest du machen? Würdest du auf den Kuss verzichten?“  (Video)

Das ist mal eine andere Frage. Neben den vielen dummen Sprüchen, die Veganer oft zu hören bekommen, ist diese Frage ziemlich geistreich. Sie hat Substanz. Wie soll sich Lukas als Veganer also verhalten?

Ethische Oberflächenanalyse

Der erste Aspekt, unter dem man die Frage angehen sollte, ist der ethische. Lukas ist ja vor allem deswegen vegan, weil er nicht will, dass für ihn Tiere leiden und sterben müssen. Von daher müsste Lukas auf den ersten Blick wohl kaum auf den Kuss verzichten. Denn wenn er nun mit Eli diniert, sie Fleisch isst und sie ihn danach küssen will, dann hat Lukas‘ Kuss keinen Einfluss mehr auf das von Eli verursachte Tierleid.

Dabei sollte man sich klarmachen, dass es dabei nicht um das Tier (das Rind oder das Kalb, das Schwein, Schaf, die Henne oder den Fisch) geht, dessen Körperteil Eli sich einverleibt hat. Dieses Lebewesen ist bereits tot und dessen Leiden und das Mitleiden seiner Angehörigen und Freunde ohnehin nicht mehr rückgängig zu machen. Es geht vielmehr um das weitere Tier das leiden und sterben muss, weil Eli mit ihrer Bestellung die Nachfrage nach weiteren Körperteilen eines ähnlichen Tieres ankurbelt.

Weil Eli mit ihrer Bestellung dem Hotel oder Restaurant aber eben bereits das Marktsignal gegeben hat, dass es auch in Zukunft das verzehrte Stück Tierfleisch anbieten soll, kommt es nicht mehr darauf an, ob Lukas Eli küsst oder nicht. So gesehen, gibt es also keinen Grund für Lukas, Eli den Kuss zu verweigern.

Erweiterte Folgenbetrachtung

Man sollte aber weiterdenken: Hätte es nicht auch einen ethischen Effekt, wenn Lukas Eli dennoch den Kuss verweigern würde? Er könnte ihr dann stattdessen – durchaus auf seine sweete Art – erklären, dass er das nicht tun könne, weil er als Veganer halt auf Dinge verzichte, die auf dem unnötigen Leiden empfindungsfähiger Lebewesen aufbauten. Und weil der Kuss gewissermassen ein Produkt, jedenfalls Teilprodukt von Elis guter Stimmung durch das Dinner sei, welchem wiederum der gewaltsame Tod eines Tieres zugrunde liege, könne er sie jetzt leider nicht küssen.

Die analytische Struktur dieses Verzichts ist der Grundidee des Veganismus tatsächlich nahe. Vegan lebende Menschen machen ja eigentlich nicht viel anderes, als einen friedlichen Boykott zu führen. Indem sie statt auf Produkte tierischer Herkunft auf pflanzliche Alternativen zurückgreifen, setzen sie ein gewaltloses Zeichen gegen den ungerechten Umgang mit den Tieren, auf den das Tierprodukt zurückgeht. Wenn Lukas nun auf Elis „Fleischkuss“ verzichten würde, dann würde er den veganen Boykott einfach noch eine Stufe weiter treiben. In der guten Absicht freilich, Eli mit dem friedlichen Protest vielleicht etwas mehr für die grausamen Wirkungszusammenhänge zu sensibilisieren, in die ihr Fleischkonsum verwickelt ist.

Gründliche Abwägung der Vor- und Nachteile

Eli wäre dann aber natürlich vor den Kopf gestossen. Lukas könnte ihr seine guten Absichten wohl noch so sachlich und liebevoll erläutern, sie könnte kaum anders, als es persönlich nehmen. Und vermutlich zu Recht. Dass Veganer keine Tierprodukte konsumieren, daran hat man sich inzwischen einigermassen gewöhnt. Die Leute verstehen unterdessen ganz gut, dass hinter dem Verzicht auf Fleisch, Eier, Milch, Pelz, Leder usw. nicht Böswilligkeit, sondern fortschrittliche Überzeugungen stehen. Ein Kuss-Verzicht aus veganen Gründen, das wäre aber nochmal etwas anderes. Allein schon aufgrund des sexuellen Kontexts des Kusses rückt hier die persönliche Verletzbarkeit der Betroffenen viel weiter in den Vordergrund. Und die Grösse der Enttäuschung über die doch fast sichere Erwartung der Kusserwiederung würde bei Eli wohl nicht mehr viel Raum für Verständnis lassen.

Lukas sollte sich also genau überlegen, ob diese Ausweitung des veganen Boykotts nicht etwas zu weit ginge. Veganer, die ethische Fortschritte bewirken möchten, müssen sorgfältig darüber nachdenken, welche Konsequenzen ihre Handlungen genau zeitigen. Der Schuss könnte auch nach hinten losgehen. Und wenn Eli nach der Begegnung den Eindruck hätte, Veganer seien in Wirklichkeit ja alles extremistische Genussmuffel, die einem weh tun, und wenn sie darauf womöglich sogar eine Trotzhaltung gegen den von Lukas ja eigentlich promoteten Veganismus entwickeln würde, dann wäre auch für die Tiere mehr verloren als gewonnen. Eine gründliche ethische Analyse spricht am Ende also am ehesten dafür, dass Lukas Eli auf jeden Fall küssen sollte.

Der ästhetische Aspekt

Es kommt allerdings noch etwas hinzu. Jemand, der sich einmal die Zeit genommen und sich mit den schrecklichen Tatsachen der Nutztierhaltung und der Produktion von Tierprodukten auseinandergesetzt hat, hat häufig einen Perspektivenwechsel vollzogen. Das Fleisch, das Eli gegessen hat, ist dann eben nicht einfach nur Fleisch, sondern eben das, was es wirklich ist, ein herausgeschnittenes Stück Körper aus einem intelligenten empfindungsfähigen Lebewesen. Ein Lebewesen, das eine Mutter, Geschwister und Freunde hatte. Das in seinem kurzen Leben unglaublich viel Leid erfahren musste und das ganz bestimmt nicht sterben wollte. Ein Leichenteil von jemandem, der sich in den wesentlichen Punkten eigentlich kaum von uns unterscheidet.

Für viele Veganerinnen und Veganer werden tierische Produkte wegen dieses Perspektivenwechsels deshalb richtiggehend widerlich. Dazu kommt noch, dass, wenn man vegan wird, die Geschmacksnerven sensibler werden und man tierische Produkte noch viel intensiver schmeckt und riecht. Auch das dürfte für jemanden wie Lukas, der ja schon eine ganze Weile vegan lebt, bei der Frage, ob er Eli nach ihrem Fleischverzehr küssen sollte, eine Rolle spielen.

Vielleicht kann man sich das als Nicht-Veganer so vorstellen, dass man sein Date nach dem Essen gerne küssen würde, man zugleich aber auch von ihm abgestossen wird, weil er nach alten rohen Zwiebeln schmeckt. Es ist aber eigentlich noch unangenehmer. Denn für vegan lebende Menschen erschöpft sich die Widerlichkeit von Fleisch nicht in seinem sensorischen Geschmack (distaste). Aufgrund der zusätzlichen moralischen Widerlichkeit von Fleisch  erhöht sich diese für Veganer noch einmal um eine Komponente (disgust). Nicht-Veganer stellen sich daher zum Vergleich wohl am besten vor, sie stünden vor der Wahl einen attraktiven Kannibalen zu küssen, gerade nachdem er ein Menschen-Steak verspeist hat…

Küssen aus Charakterstärke…

Also nicht gerade leicht, Lukas‘ Entscheidung. Was soll er jetzt tun? Auf der einen Seite müsste er Eli aus ethischen Gründen eigentlich küssen, auf der anderen Seite dürfte ihm sein ästhetisches Empfinden dabei im Weg stehen.

Als alter Veganer sollte Lukas inzwischen verinnerlicht haben, dass ethische Gründe ästhetische Gefühlsregungen grundsätzlich ausstechen. Gerechtigkeit ist letztlich wichtiger als Geschmack. Eine ganz ähnliche Situation ist ja im Grunde auch prägend für die Grundentscheidung, überhaupt vegan zu leben. Wenn man sich für eine vegane Lebensweise entscheidet, dann bedeutet das ja meist, dass man bereit ist, seine gewohnten Geschmacksregungen immerhin für kurze Zeit einmal moralisch zu überwinden.

Lukas wäre nach allem also zu empfehlen, Charakterstärke zu zeigen und Elis Kuss trotz möglicher geschmacklicher Gegenreflexe zu erwidern.

…und natürlich die Liebe

Zu einem armen Kerl wird Lukas dadurch natürlich nicht. Denn in der ganzen Sache spielt zu seinen Gunsten noch ein Element mit, das sich rational nicht besonders gut greifen lässt. Sehr wahrscheinlich ist Lukas wie die anderen Jungs von der Bachelorette ja einfach in Eli verknallt. Das gibt Lukas sozusagen etwas Rückenwind bei seiner Herausforderung. Liebe geht hier für einmal nicht durch den Magen, sondern sie wirkt gegen die Magenverstimmung.

Lukas selbst meinte in der ersten Folge ja dann auch, auf den Kuss würde er schon nicht verzichten. Also mal sehen, was weiter passiert.

P.S.:
Der Autor spricht übrigens auch aus eigener Erfahrung. Als er vor einigen Jahren als Veganer mit einer bestimmten Frau ausging, ass diese auch Fleisch und alle möglichen anderen Tiererzeugnisse. Heute ist er mit dieser Frau glücklich verheiratet und hat eine kleine Tochter mit ihr. Und natürlich ist inzwischen die ganze Familie vegan.

Etwas Geduld und viel Verständnis für den anderen lohnen sich, Lukas. Für die Tiere – und für die Menschen.

 

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